135 Jahre Rudolf-Hildebrand-Grundschule

Die Geschichte  bis 1950 –  aus der Festschrift zum 100. Geburtstag (1973)

Anläßlich des hundertjährigen Bestehens des alten Schulhauses in Mariendorf erscheint es angebracht, rückblickend die Entwicklung auf dem Gebiet des Unterrichtes von vor hundert Jahren bis heute zu verfolgen. Dies kann nur in gedrängter Form geschehen, zumal auch in diesem Zusammenhang die Vorgeschichte bis 1873 erwähnt werden muß.

Es ist nicht so, wie vielleicht angenommen werden könnte, daß 1873 erstmalig in Mariendorf die im Ort lebenden Kinder unterrichtet worden sind. Ganz und gar nicht. Aus Kirchenbüchern ist zu entnehmen, wie ernst es unsere Mariendorfer Bürger mit der Bildung nahmen. Natürlich ist der Begriff „Bildung“ von damals nicht mit seiner heutigen Bedeutung zu vergleichen. Aber immerhin, seit Anfang des 17. Jahrhunderts sind zwei Fächer, nämlich Religion und Lesen, Pflichtfächer gewesen. Alerdings beschränkte sich der als Lehrer wirkende Küster, hauptberuflich seines Zeichens Schneider, darauf, Texte aus der Bibel vorlesen zu lassen. Die Kleinsten, die Kinder also, die noch nicht lesen konnten, mußten buchstabieren, da beides, das Vorlesen und Buchstabieren, nicht zu gleicher Zeit möglich war, mußte zwangsläufig eine Aufteilung in Gruppen erfolgen. Die „Leser“, das waren auch gleichzeitig die älteren Schüler, wurden von 05.00 Uhr bis 07.00 Uhr unterrichtet, die „Buchstabierer“, die jüngeren, von 07.00 Uhr bis 09.00 Uhr. Das frühe Beginnen des Unterrichtes ergab sich ganz einfach aus der Tatsache, daß die älteren Kinder nach dem Unterricht auf dem väterlichen Hof mitarbeiten mußten. Von ganz wenigen Bürgern abgesehen, waren alle Landwirte, und jede Hilfe, auch die der Kinder, war dringend notwendig.

Unterrichtet wurde in der Küsterei, in Räumen also, die zu der Dorfkirche gehörten.
Da das Lehren seinerzeit der Kirche vorbehalten war, Schulen im heutigen Sinne gab es nicht, wurden Kirchenräume zu Klassenräumen, Küster zu Lehrern, und was gelehrt werden mußte, bestimmte die Kirche. Daher war das wichtigste Fach Religion und nebenher das Lesen.
Die Kinder mußten also zur Kirche in die Küsterei zum Unterricht kommen, denn der Küster half ja dem Pfarrer in der Kirche zur Zeit des Gottesdienstes. Anschließend hielt der Küster Unterricht, und danach ging er in seine Schneiderwerkstatt.

An dieser Stelle sei von Tatsachen zu berichten, deren Auswirkungen bis in die heutige Zeit reichen. Im Sommer, zur Getreideernte, sowie im Herbst zur Kartoffelernte waren vom ältesten bis zum jüngsten Familienmitglied alle bei der Arbeit auf dem Felde. So wunderte sich der Küster nicht, Jahr für Jahr zu diesen Zeiten in der leeren Küsterei zu stehen. Der beginnende Winter ließ auch die Zahl der Schüler wieder ansteigen, aber nur bis zu den Tagen vor dem Weihnachtsfest. Nun war das Säubern, Waschen und Backen wichtiger als der Unterricht. Ebenso wichtig waren die Vorbereitungen zur Jahreswende, die schon immer gefeiert wurde, wenn auch in anderer Art und Weise, als es heute geschieht. Da hatten die Kinder keine Zeit, am Unterricht teilzunehmen. Erst einige Tage nach dem Jahreswechsel besannen sich Eltern und Kinder wieder ihrer Pflichten gegenüber der Schule.

Nicht anders war es in dieser Beziehung zur Zeit der Feiertage zu Ostern. Diese hohen kirchlichen Festtage wurden gebührend begangen, und zwar abermals mit einer mehrere Tage dauernden Unterbrechung des Unterrichtes.

Bis in diese Zeit zurück, in der der Arbeitsrhythmus des Landwirtes das Leben weitgehend beeinflußte, reicht die Einteilung der heute noch üblichen Ferienzeit.

Aus dieser Zeit sind uns leider keine Schülerzahlen bekannt, überliefert aber ist, daß der Unterricht nicht kostenlos war. Ein Groschen pro Kind und Woche mußten an die Pfarrei gezahlt werden. Ehrgeizige Eltern, deren Kinder auch noch das Rechnen oder Schreiben erlernen sollten, mußten zusätzlich 6 Pfennige in die Pfarrkasse geben.
Von diesen Einnahmen bekam der als Lehrer tätige Schneidermeister einen Teil. Sozusagen als Entgelt für deine Mühe. Aus der Kirchenkasse floß ihm auch noch etwas zu, da er zusätzlich das Küsteramt bekleidete. In welcher Höhe sich diese Zuwendungen bewegten, ist aus dieser Zeit nicht bekannt. Genaueres darüber zu erfahren ist erst aus dem Jahre 1847.
Das erste Küsterhaus brannte 1748 nieder. Im gleichen Jahr neu errichtet, raffte abermals eine Feuersbrunst das 59-jährige Haus hinweg. Das war im Jahre 1807. Wiederum wird die Küsterei neu gebaut, aber im Laufe der Jahre muß das Gebäude für die Anzahl der Schulkinder nicht mehr genügend Raum geboten haben, denn ein Erweiterungsbau im Jahre 1840 mußte vorgenommen werden. Die Schülerzahl stieg nämlich von 30 (etwa 1807) auf 80 an.

Aus dieser Zeit wissen wir auch etwas über die „Besoldung“ der Lehrer. Bezüglich der Höhe des Entgeltes für den ersten Lehrer, der Schneidermeister war und das Amt des Küsters sowie das des Lehrers versah, herrscht nach wie vor Unklarheit.

Der zweite Lehrer, der inzwischen eingestellt werden mußte, bekam jährlich 120 Taler in bar und 12 Taler „Holzgeld“ bei freier Wohnung. Er wurde aus der Gemeindekasse bezahlt. Allerdings hatte er auch noch Nebeneinnahmen (Höhe unbekannt) von seiten der Kirche, weil das Spielen der Orgel zu den Gottesdiensten zu seinen Pflichten gehörte.

Bei der genannten Zahl von 80 Kindern blieb es nicht, und es kam so weit, daß nicht nur ein zweiter Lehrer eingestellt, sondern auch vormittags und nachmittags unterrichtet werden mußte. Der Schichtunterricht, von 06.00 Uhr bis 09.00 Uhr und von 08.00 Uhr bis 11.00 Uhr war inzwischen schon als nicht zufriedenstellend aufgegeben worden. Hinzu kam ein Erlaß der damaligen preußischen Regierung, durch den der Unterricht zur Pflicht gemacht wurde (Einführung der Schulpflicht). Außerdem ist der Lehrstoff wesentlich erweitert worden.
Dieser Explosion auf dem Gebiet des Bildungswesens ging ein wirtschaftlicher Aufschwung voraus, von dem Mariendorf ebenfalls seinen Nutzen hatte. Durch den Bau einer neuen Straße (Berlin-Cottbusser-Chaussee) und zweier Eisenbahnlinien (Berlin-Anhaltinische und Berlin-Dresdner Eisenbahn) wurde das Dorf direkt in den sich erweiternden Handel einbezogen. Da die Regierung das Bildungswesen durch finanzielle Zuwendungen an die Gemeinden förderte, scheuten sich die Mariendorfer Bürger nicht, den Bau eines neuen Schulgebäudes zu beantragen. Das war dringend nötig, denn wohin mit den inzwischen 159 Schulkindern im Jahre 1870?

Der Antrag auf Neubau eines Schulhauses, das seinen Platz in der heutigen Straße Alt-Mariendorf Nr. 43 fand, wurde genehmigt.

Altes Schulgebäude

Nun ging es Schlag auf Schlag. Erstaunlich, wie schnell der Bau voranschritt. Im März des Jahres 1873 wurde der Grundstein gelegt, am 15. Juni war Richtfest und bereits am 24. Oktober 1873 konnte das fertige Haus seiner Bestimmung übergeben werden. Dies geschah trotz einer vierwöchigen Arbeitspause mangels Baumaterials. Die Steinbrecher nämlich, die die Bausteine am Bauort brannten, konnten den Bedarf nicht decken. Die Maurer setzten mit der Arbeit aus, bis die Steinbrenner wieder genügend Vorrat hatten.

Über die Einweihungsfeierlichkeiten erschien damals im „Steglitzer Anzeiger“ ein ausführlicher Bericht. So können wir unter dem 9. November lesen, daß der zweistöckige Bau 9000 Taler gekostet hat, die Klassenräume im Erdgeschoß waren und den zu dieser Zeit 250 Schulkindern (bei etwa 2000 Einwohnern) genügend Raum boten. Im Obergeschoß befanden sich vier Lehrerwohnungen, von denen aber erst zwei besetzt waren. Am 27. Oktober 1873 wurde mit dem Unterricht begonnen, und dieser Tag ist der Gedenktag unserer Schule.

Nicht nur, daß erstmalig ein Gebäude entstanden war, das allein den ausschließlich schulischen Zwecken diente, sondern in diesem Schulhause unterrichteten nun auch für ihren Beruf gründlich ausgebildete hauptamtliche Lehrer. Die Mariendorfer Schule muß einen guten Ruf gehabt haben, denn bei Überprüfungen durch Schulinspektoren gab es stets großes Lob. Es wird berichtet, daß sogar ein japanischer Minister, der eine preußische Schule kennenlernen wollte, zur Besichtigung in Mariendorf erschienen ist.

Um die Jahrhundertwende gingen in Mariendorf mehr als 600 Kinder zur Schule, die sich inzwischen zu einer sechsklassigen Knaben- und einer sechsklassigen Mädchenschule entwickelt hatte.
Vom Jahre 1900 an liegt die Geschichte unserer Schule im dunkeln. Es ist zwar eine Chronik der Schule geschrieben worden, denn ein Erlaß des Kultusministers Dr. Falk aus dem Jahre 1872 verpflichtet jede Berliner Schule dazu, aber diese Schulchronik ist verlorengegangen. Ein Lehrer, der dieses wichtige Dokument vor der Vernichtung bewah-ren wollte, nahm die Unterlagen nach dort mit, wohin er sich vor dem Bombenhagel des 2. Weltkrieges rettete. Der Ort, in dem er sich sicher wähnte, er muß in Pommern gelegen haben, ist jedoch auch durch die Kriegswirren heimgesucht worden. Der Lehrer gilt heute als vermißt und die Schulchronik blieb verschwunden.
Eines aber steht fest, daß auch dieses 1873 erbaute Schulhaus die steigende Zahl der Schüler nicht mehr aufnehmen konnte.
Im Jahre 1908 wurde das für damalige Zwecke imposante Schulgebäude in der Friedenstraße 23 errichtet.

Neues Schulgebäude

Was sich erwähnenswertes in der neuen Schule bis 1945 ereignete, kann aus Mangel an Unterlagen hier nicht aufgezeichnet werden. Der Rektor, der seit 1926 diese Schule leitete, übernahm nach zeitweiliger Absetzung durch die Besatzungsmacht wieder das Amt des Schulleiters. Die Wirren der Besatzungszeit und der Beginn des Neuaufbaus nahmen ihn so in Anspruch, daß er keine Gedanken an eine Schulchronik verschwendet hat, die die Geschehnisse vor 1945 betrafen. Außerdem bestand immer noch die Hoffnung, daß der oben erwähnte Lehrer und die Schulchronik wieder auftauchen würden. Diese Hoff-nungen, das wissen wir heute, haben sich zerschlagen, und zerschlagen wurde auch das bis Kriegsende hier wirkende Kollegium. An einen unseren heutigen Vorstellungen entsprechenden Unterricht war während des Krieges nicht zu denken. Viele Familien verließen Berlin wegen der sich steigernden Fliegerangriffe. Andere gingen von Berlin fort, weil Armeen weiter auf Berlin vordrangen. Väter wurden zwangsverpflichtet. Frauen und Kinder zogen zu Verwandten und Bekannten außerhalb Berlins. Aus diesen und ähnlichen Gründen, besonders in den letzten Kriegsmonaten, zogen es auch die Lehrer vor, Hab und Gut in Sicherheit zu bringen.
In den letzten Tagen des schrecklichen Geschehens war an Unterricht nicht zu denken, zumal sich zunächst sowjetische Soldaten unsere Schule als Quartier ausgesucht hatten. Nach der Teilung Berlins verbrachten auch noch amerikanische Soldaten einige Zeit im Schulgebäude. im Juli 1945 jedoch übergaben die Amerikaner das Schulhaus in deutsche Hände. Es wurde sofort seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt.

Einige Lehrer kehrten zurück, andere ehemalige Lehrkräfte blieben verschollen. Insgesamt setzte sich das Kollegium aus dieser Zeit aus 20 Damen und Herren zusammen,
wovon 10 wirklich ausgebildete Lehrer waren. Der andere Teil bestand aus nicht ausgebildeten und außerderm noch mit niedriger Allgemeinbildung versuchsweise eingestellten Hilfskräften. Die Schülerzahl wird nicht erwähnt, aber im Jahre 1947/48 waren 34 …

Das ist ein Teil der Geschichte der Rudolf-Hildebrand-Grundschule

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